Regelrecht schockiert war ich beim letzten Ausflug auf den Vorbichl in Tisens.
Der Vorbichl ist ein bewaldeter Bergrücken am Rand des Tisner Mittelgebirges. Ein natürliches XXL-Biotop. Die Obstbau-Industrie hat ganz Tisens und auch den Vorbichl in ihren Würgegriff genommen. So muss es das ästhetische Empfinden einfach ausdrücken.
Der Mischwald aus Föhren, Lärchen, Eichen, Fichten, anderen Laubgehölzen, viel Kranebitt- und Brombeerhecken, Senken und Mulden mit Wasseransammlungen, ein kleiner See, die vielen, vielen moosweichen Steige und kleinen Wege kreuz und quer; der steile Abfall ins Etschtal, die bizarren Porphyr-Felsspitzen und so viele andere Naturschönheiten mehr – sie sind eine Insel geworden zwischen all den Betonstangen und Plastiknetzen rund um Tisens und Prissian.
Dabei ist der Vorbichl Natur und Kultur (nein, nicht die endlich entfernte „Filzkunst“). Am Ende gegen Lana hin steht das St. Christoph-Kirchlein, mustergültig in Schuss gehalten von den Tisnern. Der Vorbichl wurde seit jeher organisch bewirtschaftet. Die Bauern sammelten Holz und stellten ihre Bienenstöcke auf. Zum Dorf hin gab es freie Weideflächen, den ein und anderen Acker, mitten drin eine Moorlache mit Schilf und markante Felseninseln mit Steineichen, auf denen Schafe und Ziegen weideten.
Ja, von diesem Idyll muss man leider in der Vergangenheitsform erzählen. Das ist absolut kein Vorwurf an die Grundeigentümer, die entschieden haben, auf ihrem Besitz Obstbau nach den Regel der allerneuesten Technik zu betreiben. In hundert Jahren kann das alles wieder ganz anders aussehen.
Tatsache ist aber, dass sich ein gewaltiger Minderwert einstellt – für das Auge und für das Gemüt.
Das ist kein eitles Jammern von Romantikern – das ist die Grundlage, auf der die Fremdenverkehrswirtschaft ruht. In einer Pension zwischen Betonstangen und Netzen wohnen und mit dem Auto in die höheren Bergregionen entfliehen müssen, um Stille, reine Luft und ästhetischen Genuss zu erhaschen, das kann auf Dauer nicht gut gehen. Man kann eben nicht alles zugleich haben, das werden die Südtiroler insgesamt und irgendwann auch die Tisner lernen müssen. Im Wege-Schlamm an Maschendraht entlang, unter Hagelnetzen und Starkstromleitungen spazieren gehen, ohne den leisesten Ansatz eines touristisch gepflegten, freien Zugangs zum Vorbichl, das kann nicht der Weg in die Zukunft sein.